Friesische Freiheit

Akademie Sankelmark 2015
Anmerkungen zum Workshop „Und wäre nicht der Bauer …“

Friesische Freiheit
Lever dood als slaave, diese Bekenntnis galt wohl für alle Friesen, ein Volk, dass die Freiheit über alles liebte und über die Jahrhunderte entmündigende Herrschaft durch andere abwenden konnte.
Einzig dem Gott des Christentums gehorchte man und befolgte seine Heil bringenden Worte.
„Macht Euch die Erde untertan“, war eine mächtige Weisung, verstanden als Hilfestellung im Kampf gegen die ständige Gefahr, von der urgewaltigen See verschlungen zu werden.
Immer wieder ertrank Gottes vermeintliches Wort auf den Lippen tausender Menschen. Gnadenlose Stürme peitschten über Jahrhunderte das Land und zerbrachen Leben und Existenz der Menschen.
In der großen Mandränge von 1362 ertrank fast ein ganzes Volk.
Damals bauten die Friesen Torf ab. Mooren, hatten sich über Jahrtausende zwischen den eiszeitlichen Geestkernen gebildet. Man räumte die Moore aus, verbrannte den gewonnenen Torf, um Salz zu gewinnen. Salz war das weiße Gold des Nordens. Das natürliche Gleichgewicht der Küstenlandschaft war durch den Menschen gestört worden.
Als dann extreme Wetterlagen, Sturm, Springflut und Mondstand das Nordseewasser naturgewaltig gegen die Küste peitschten, stauten sich in den ausgeräumten Landschaften die Fluten. Das flach liegende Küstenland wurde von Amrum bis nach Husum weggerissen. Nur die Geestkerne, die heutigen Inseln, blieben stehen. Menschenwerk führte in den Tod.
Deiche wurden gebaut.
Zum Schlachtruf gegen die Nordsee wurde das Bekenntnis: „Keen nich will dieken, de mutt wieken.“
Wenn Tönnies von Gemeinschaft spricht, so meint er sicherlich auch die einigen Bauern, die als Notgemeinschaft Deiche bauten, um das Überleben zu sichern.
Heute thront das Eidersperrwerk, als Bollwerk gegen die Fluten, zwischen Eider und Nordsee.
Der Mensch scheint gewonnen zu haben, er reguliert und dominiert.
Als Kind habe ich die Moore der Eiderniederung durchstreift. Schon damals kam mir in den Sinn, dass man der Nordsee das natürliches Revier geraubt hat. Heute denke ich, dass wir die Landschaft, deren Eigentum wir uns anmassen, in unterschiedliche Bereiche teilen sollten. Ein Teil muss sich völlig natürlich entwickeln, in einem Teil sollten Natur und Kultur sich durchdringen und der dritte Teil mag das Reich der Menschen sein. Alle Bereiche sollten über offene Grenzen miteinander kommunizieren.
Ich meine: Nicht immer dagegenhalten, warum? Nachgeben und teilen wäre oft sinnvoller.
Heute wissen wir, dass der selbstverschuldete Klimawandel weltweit die Erhöhung der Deiche fordert. Die Kosten für den Küstenschutz steigen. Geben wir der Nordsee ihr natürliches Bett wieder und nehmen wir so ihr die tosende Kraft.
Aber Habgier und Besitzstreben, es muss ja immer mehr werden, Wachstum um jeden Preis, stehen dagegen.
Und wäre nicht der Bauer…
Im Schutz der Deiche wurde die natürliche Landschaft über Jahrhunderte von Bauern in Kulturland umgewandelt. Auf Grasland weideten Bullen und Kühe. Auf anderen Monokulturen, baute man Korn, Raps, Kartoffeln, Rüben, Kohl an, die Bauern wurden reich.
Heute wird durch excessive Landwirtschaft rücksichtslos der Boden ausgebeutet, verdichtet und belastet.
Der Humusboden ist die lebendige Haut des Planeten Erde, organisch körperhaft wachsend, bildend er die Grundlage allen Lebens. Dieser Mutterboden wird besonders durch Maisanbau und die modernen Formen des Ackerbaus regelrecht vernichtet. Es müssen immer stärkere Pestizide, immer mehr Gülle für immer mehr Ertrag eingebracht werden. Ganz selbstverständlich wird die natürliche Landschaft zerstört. Wenn Ackerland im Herbst und im Winter brach liegen, ist es Wüstenland. Arteneinfalt anstatt Artenvielfalt sind der Preis. Deppen und Monokulturen kann man an ihrer Beschränktheit erkennen.
Was wird alles erlaubt, um Profite einzufahren? Wissenschaftler geben ihre Prognosen für die Belastbarkeit der Böden ab, gehört hier die Lüge zum Handwerk? Alles ist im grünen Bereich wird verkündet, aber Messwerte beruhen immer auf Standpunkten. Am Ende landet alles im Grundwasser.
Wenn ein Bauer heute 200 ha Land plus Nebenverdienste durch Ehepartner und Einkünfte durch Vermietungen an Touristen braucht, um über die Runden zu kommen, dann stimmt einiges nicht. Die kapitalistische Markwirtschaft frisst die Kleinen und führt zu immer mehr Überproduktion und schlechteren Qualitäten der Produkte, weil der marktwirtschaftliche Preis und der unmündige Geiz der Konsumenten alles diktiert und ruiniert.
TTIP wird auch unseren Bauern noch den Rest geben, wenn diese heute schon kaum konkurrenzfähig sind. Sollen sie besser alle aufhören zu arbeiten? Wären die Kosten für den Unterhalt der industriell produzierenden Bauern für den Staat billiger als die gezahlten Subventionen und die Folgekosten, die durch die chemisch orientierte Landwirtschaft entstehen? Früher haben von 200 ha ganze Dörfer existiert und die Bevölkerung mit gesunden Lebensmitteln versorgt. Natur hätte dann auch wieder eine Chance.
Energiewende
Von heute auf Morgen hat Frau Merkel auch aus wahlstrategischen Gründen die Energiewende durchgesetzt.
Nun wurde über Nacht aus dem Bauern, ein Unternehmer, der Energie mit industriellen Mitteln und Maßstäben produziert.
Diese Energiepolitik gibt vor, Natur erhalten zu wollen, erledigt diese aber, weil sie keinen ganzheitlichen Ansatz sucht.
Auch ist die Energieproduktion politisch, organisatorisch und praktisch nicht im Ansatz bewältigt worden. Wohin mit dem Strom, wenn es nicht ausreichend Leitungen gibt? Hierarchische Strukturen treffen hier auf pluralistische Strategien. Entweder wird ein Ansatz konsequent durchgezogen oder jeder macht, was vordergründig individuellen Nutzen bringt. So läuft nichts zusammen. Ein alternativer Ansatz wäre es, jeden Haushalt seine notwendige Energie selbst produzieren zu lassen. Entstehender Überschuss würde dann in ein gemeinsames Netz gespeist werden, um andere zu versorgen und wie wäre es denn, wenn wir weniger verbrauchen würden?
Dies wäre alternativ zu überlegen.
Aber selbstbestimmende Modelle hassen Politiker und Betreiber wie der Teufel das Weihwasser, denn ihnen würden Macht und Profite abhanden kommen.
Ich meine, wir sollten unterschiedliche Systemansätze miteinander verbinden.
In vielen gesellschaftlichen Bereichen bräuchten wir mehr Individualität und dennoch übergreifende Strukturen und Regeln. Dies widerspräche nicht den Grundsätzen von Demokratie, Marktwirtschaft und Menschenrechten, wenn Einigkeit über die Ziele bestehen würde.

Wer heute durch das weite Land hinter den Deichen fährt, wer den endlosen Horizont des Wattenmeeres sucht, der wird sich schockiert fragen, ob hier alle verrückt geworden sind?
Naturlandschaften und Kulturlandschaften sind mutiert zu Industrieanlagen, chaotisch möbliert mit einem Arsenal von Windkrafträdern. Jahrtausende alte Landschaften sind in wenigen Jahren ästhetisch und ökologisch völlig vernichtet worden.
Über Jahrhunderte hat der Mensch Kriege gegen Andersgläubige geführt, heute hat er endlich die lang ersehnten Mittel und die Macht, um final Krieg gegen die Natur führen zu können. Als selbst ernannte Krone dieser Schöpfung will der Mensch den Endsieg erringen. Unsere Habgier kennt keine Grenzen. Wir vernichten diese Schöpfung und meinen die Alleinherrschaft der Menschen etablieren zu können, gerechtfertigt durch Bibelworte und Menschenrechte. Hört endlich auf, dümmlich dem „lieben Gott“ alles in die Schuhe zu schieben. Wir Menschen sollten mündig und selbstverantwortlich handeln, begreifen und akzeptieren, dass die Menschheit nur ein Organ des Lebens, des lebendigen Planeten Erde ist.

Profitorientierte Architektur und das Elend in den Vorgärten
Studiert man im Freilichtmuseum Molfsee die traditionellen friesischen Bauernhäuser, kommt man zu dem Schluss, dass zweckdienlich und ästhetisch gebaut worden ist. Ziegel, Holz und Reeth wurden aus der Landschaft entnommen und in eine ästhetisch funktionale, kulturelle Form gebracht. Das Haus fügte sich harmonisch in die Landschaft. Bauern, Fischer und Seefahrer schufen gemeinsam einen authentischen, regional typischen Stil.
Wer Westerland auf Sylt aufsucht, um nach friesischer Tradition Ausschau zu halten, wird kaum fündig werden.
Plattenbauarchitektur, grobe Zweckbauten, schick gemachte Solitärbauten und viel unsagbare Bauhausidylle dominieren diesen Ort. Profitgier, wahrscheinlich eine fehlende Bauordnung und der
Geschmack der Besitze hat Westerland zu einer der hässlichsten Städte in Schleswig-Holstein werden lassen.
Betrachtet man die herunter gekommene Friedrich Straße, die dominierende Plattenbauarchitektur in den Nebenstrassen, die austauschbaren Einkaufzentren, dann erfüllt mich der Zorn. Welch erbärmliche Verschandelung dieser Insel und niemand stört sich daran.
Der Plattenbau wurde in seiner Entstehung als „Kathedrale des Lichts“ für die Arbeiter, die damals in feuchten, dunklen Hinterhöfen ihr Dasein fristeten, gebaut und gefeiert. Der Plattenbau wird heute von profitgeilen Managern und nach Rendite gierenden Investoren weltweit, so auch auf Sylt, zu billigen Wohneinheiten verkommen, an Legebatterien erinnernd, gewinnorientiert ausgebeutet.
Sogar diese Erbärmlichkeiten sind für die Sylter nicht erschwinglich, sie müssen auf das Festland ausweichen, um bezahlbaren Wohnraum zu finden. Schämt Euch.
In Keitum stehen sie noch, die Friesenhäuser, gepflegt und gehegt. Hier gibt es viel Geld und viel noblen Geschmack. Die ironisch selbst benannten Strassenbezeichnungen, wie „Zur Einflugschneise“ erklären sich spätestens dann, wenn ein Flugzeug in geringer Höhe den Flugplatz in Kampen ansteuert.

Klar, alles Geschmacksache.
Geschmacksache, so sagt man, ist eine Standpunktfrage und dieser steht in Zeiten allgemeiner Freiheit, garantiert durch Demokratie und Menschenrechte, über jeder allgemeinen Norm. Aber es gibt in allen Bereichen menschlicher Intelligenz differenzierte Formen des Schwachsinns und der Begabung. Es gibt Niedertracht und Profitgier und unsagbar viel Dummheit. All das bilden wir nicht nur in unseren Städten in unserer Umwelt ab, wir verhalten uns ebenso, wir kleiden und ernähren uns entsprechend. Da kommt man in Versuchung, sich die Zeit der Trachten zurück zu wünschen, die aus einem ästhetischen Analphabeten einen feschen Kerl gemacht haben. Aber,
wehe dem, der nicht alles toleriert. Geiz ist nicht nur geil, sondern zeigt die Orientierungslosigkeit der Menschen, denn ihnen fehlt eine gemeinsam kultivierte Gestalthöhe, auf deren Grundlage alle entscheiden könnten. Richtig ist am Ende für viele nur das Billigste, denn die Qualitäten spielen keine Rolle oder werden nicht mehr erkannt. Massenkonsum, Informationsschwemme, grenzenlose Freiheit, fehlende Identität, sind typisch für unsere Gesellschaft. Menschen sind soziale Wesen, die durch die Auseinandersetzung mit Normen und Werten erst zu Individuen werden können. Erst dann, durch Anpassung also, können wir zu einander finden. Individualität muss gefördert werden, damit ist aber nicht Egozentrik, sondern die Fähigkeit des Einzelnen gemeint, sich mit seiner Umwelt und Mitmenschen auseinanderzusetzen, um sich durch Anpassung zu profilieren.Wir Heutigen sind auf allen Ebenen das Schlusslicht unserer kulturellen Geschichte.
Friesische Freiheit
Haben die Friesen ihre Freiheit verloren? Ich denke die Identität hat nur noch wenige Grundlagen, wenn man sich traditionell orientiert. Das Nordfriisk Instituut müht sich mit Kulturprogrammen und der Pflege der Sprache regional typische Besonderheiten zu fördern und zu erhalten.
Als Prof. Steensen mir in Bredstedt ein Gebäude zeigte, dass durch Stiftung dem Institut überlassen werden soll und er einen möglichen Verwendungszweck hinterfragte, antwortete ich spontan. Hier muss man alle Friesischen Vereinigungen, vor allem die Dänischen Friesen, gemeinsam unter ein Dach gekommen.
Die Friesen könnten ihre Freiheit nutzen. Mit Weitblick auf die Welt und Anteilnahme für ihre Heimat, sollten sie ihre Umwelt regional typisch gestalten und ihre soziale und kulturelle Identität entwickeln.
Eine zukünftige Orientierung darf nicht kapitalistisch marktwirtschaftlich, auf maximalen Profit und auf Massenkonsum ausgerichtet sein. Im Gegenteil, nutzen wir die Qualitäten der sozialen Marktwirtschaft, kehren wir nur die Ideale um: weniger ist mehr.
Das meint auch, dass wir uns ethisch, ästhetisch, ökologisch, eben ganzheitlich, neu erfinden müssen. Begreifen wir Natur als gleichberechtigten Wert der Schöpfung. Mensch und Natur sind gleichwertig. Kulturelle Traditionen sind in Beziehung zur regional typischen Natur neu zu erfinden und als ganzheitlich gestaltete Umwelt zu entwickeln.
Freiheit und Menschenrechte sollten als Pflicht verstanden werden, Kultur und Natur ganzheitlich zu gestalten.

Heinz Teufel

Friesische Freiheit